Mehr zum Thema: Wie lebte ein Glasarbeiter um 1900?

Die Arbeiterwohnungen 2020 Foto: Uwe Spiekermann
Glasmacher prägten seit den 1870er Jahren Boffzen – doch diese waren meist Zugezogene, Arbeitsmigranten aus dem Siegerland. Das Unterdorf lebte von Land- und Forstwirtschaft, bestand zumeist aus kleinen Bauernhöfen. Wohnraum für die dreistellige Zahl der Neuankömmlinge war knapp, war zugleich erforderlich, um erfahrene Facharbeiter abzuwerben und nach Norden zu locken. Das Wachstum der beiden lokalen Glashütten hing von attraktiven Rahmenbedingungen ab, von guten Löhnen und bezahlbaren Wohnungen.



Bauzeichnungen der Werkswohnungen von 1898, zu denen auch dieses Haus gehörte Foto: Archiv Freundeskreis Glas
Küche: 8,0 Quadratmeter Kammer 1: 11,3 Quadratmeter Kammer 2: 10,9 Quadratmeter Stube: 14,0 Quadratmeter Flur: 3,1 Quadratmeter Summe: 47,3 Quadratmeter
Erste firmeneigene Arbeiterhäuser entstanden an der heutigen Bahnhofstraße. 1898 konnte Noelle & von Campe weiteres Land erwerben und errichtete dieses und zwei weitere Vierfamilienhäuser. Sie waren solide gebaut und entsprachen dem sich damals durchsetzenden Standard einer abgeschlossenen Einzelwohnung für jede Familie. Arbeitsplatz und Wohnung wurden damit aneinander gekoppelt, die Stammarbeiterschaft erhielt Vorteile, musste jedoch loyal zur Firma stehen.

Werkswohnungen aus den 1960er Jahren Foto: Elisabeth Pophal
Gemeinsames Bewohnen eines Hauses durch mehrere Parteien war damals üblich. Doch anders als in den Bauernhäusern gab es bei diesen Arbeiterhäusern keine gemeinsame Diele mit Herd, sondern voneinander
getrennte Wohnungen. Laut Grundriss standen jeder Familie etwa 47 Quadratmeter zur Verfügung: Zwei Schlafkammern, eine Küche und eine Stube. Zwei Öfen sorgten für Wärme. Diese damals modernen Wohnungen waren klein, doch besser als üblich: 1892 lebten von den 227 Beschäftigten der Glashütten in Boffzen, Rottmünde und Neuhaus nur 20 im eigenen Haus, 43 in Mietwohnungen, 61 in Wohnungen des Arbeitgebers und 81 bei ihren Eltern. Außerdem gab es 22 Schlafgänger, die lediglich eine Bettstelle gemietet hatten. Die Schaffung von Arbeiterwohnungen war Grundbedingung für die Schaffung von Arbeitsplätzen, für die Industrialisierung des Landes.
August Ohm (links) und Hermann Böker an der Mundblaswanne Foto: Willi Ohm
