Professor Hubert Kittel bei seiner Führung durch die Sonderausstellung und der Gelegenheit zum Werkstattgespräch.
Das Bauhaus kennen wohl die meisten von uns, die Kunsthochschule Burg Giebichenstein in Halle an der Saale vermutlich deutlich weniger – vor allem im Westen Deutschlands. Zu Unrecht, begann sie doch bereits vier Jahre vor dem Bauhaus in Weimar – 1915 – mit der Ausbildung im Sinne der klassischen Moderne. Die Hallensischen Entwürfe der damaligen Zeit müssen den Vergleich mit denen der Kunstschule unter Walter Gropius, Hannes Meyer oder Ludwig Mies van der Rohe nicht scheuen. Burg Giebichenstein arbeitete zudem in den 1920er und 1930er Jahren eng mit Unternehmen zusammen, was gemeinhin und falsch dem Dessauer Bauhaus als neuartiger Weg zugeschrieben wird. Wer sich für die Moderne und ihre Spuren im Design der DDR und der Bundesrepublik interessiert, kommt demnach an der Hochschule in Halle nicht vorbei.

Blick in die Ausstellung von Professor Hubert Kittel im Neuberin-Museum Reichenbach im Vogtland. Fotos: Stefanie Waske
Ein Blick auf die Geschichte der Kunsthochschule lohnt sich aber nicht nur wegen ihrer bedeutsamen Geschichte. Studierende und Lehrende der Burg Giebichenstein bereichern bis heute die Industrie mit ihren Entwürfen – nicht zuletzt in Porzellan und Glas. Der ehemalige Professor für Produktdesign und Leiter des Fachgebietes Keramik und Glas, Hubert Kittel, zeigt gegenwärtig wichtige Ausschnitte seiner Arbeit in einer sehenswerten kleinen Ausstellung in seiner Geburtsstadt Reichenbach im Vogtland. Ein Besuch lohnt aus mehreren Gründen: Es lässt sich erstens mehr über die Produktgestaltung in der DDR und der Nachwende-Zeit erfahren, zu der Hubert Kittel mit seinen Entwürfen Wichtiges beitrug. Zweitens zeigt sich, was den Gestalter inspiriert hat – unter anderem die Porzellan-Entwürfe der finnischen Entwerfer Timo Sarpaneva und Tapio Wirkkala für Rosenthals studio-line. Vor allem aber ist es drittens interessant, Hubert Kittels eigenen gestalterischen Weg zu verfolgen: Er kombinierte Materialien wie Holz und Porzellan bei Kerzenleuchtern, gab der Glasschale einen Porzellaneinsatz zum Stecken von Blumen, ergänzte das Kindergeschirr aus Porzellan mit weniger zerbrechlichen Holztellern. Dabei arbeitete er mit Kunsthandwerkern im Erzgebirge, Porzellinern in Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt und Glasmachern im Harz sowie im Thüringer Wald zusammen. Die Entwürfe für den Alltag richten sich sowohl an der Funktion aus, geben dieser aber oftmals eine spielerische Note: So beim „Speisepuzzel“, wo eckige Tassen, Teller, Dosen oder Salz- und Pfefferstreuer auf einem Holztablett immer wieder neu angeordnet werden können – je nach Lust und Speise. Er selbst schreibt, er habe eine „Vorliebe für kompakte, plastisch-sinnliche Gefäßformen“. Seine Entwürfe wollen mehr als nur der Funktion zu gehorchen, zeigen Unkonventionelles, Unerwartetes, Humorvolles wie der künstlerische Entwurf der betrunkenen Flaschen.
All diese Geschirrteile, Vasen, Schalen und Dosen entwarf Hubert Kittel für eine sich einschneidend wandelnde Branche: Kaum ein Volkseigener Betrieb der DDR konnte sich, durfte sich in der neuen Marktwirtschaft etablieren. Das galt damals aber auch im Westen, weil auch die bundesdeutsche Konkurrenz mit billiger Massenproduktion nicht mehr mithalten konnte. Wer die Porzellan- und Glasregion in Sachsen-Anhalt, Thüringen, Sachsen und Bayern bereist, wird vom einstigen Reichtum nur mehr wenig finden. Die einstige Vielfalt der Branche lebt vor allem in Kleinserien von Studiokünstlerinnen und -künstlern fort.

Die Bodenvase, die Hubert Kittel 1992 beim Porzellan-Hersteller Kahla ausformte, ist eine Hommage an Marguerite Friedlaender und deren Vasenserie Halle.
Hubert Kittel wurde 1994 Professor an der Burg Giebichenstein. Dabei interessierte er sich für diejenigen, die den Lehrstuhl für Keramik vor ihm prägten – so 1933 als Jüdin entlassene und vertriebene Bauhäuslerin und Keramikerin Marguerite Friedlaender (1896-1985) oder der Keramiker Hubert Griemert (1905-1990), seit 1937 Mitglied der NSDAP. Letzterer entwarf 1938 für die Porzellanmanufaktur Fürstenberg die Form 644 „Schloss Fürstenberg“. Hubert Kittels Recherchen führten ihn auch an die Weser und zum Freundeskreis Glas. Er trug mit seinen Kontakten und fachlichen Hinweisen vieles zur Ausstellung „Wie neu beginnen? Glas der 1950er Jahre in Deutschland“ im Jahr 2017 bei. Dort waren Gläser einer weiteren Vorgängerin an der Burg Giebichenstein zu sehen, der Glas- und Porzellangestalterin Ilse Decho (1915-1978), mit deren Tochter Karin Musinowski Hubert Kittel zur Ausstellungseröffnung anreiste.
Der Austausch blieb bis heute bestehen. Die Glasfreunde aus Boffzen dürften bei der Werkschau in Reichenbach eine ihnen bekannte Glashütte entdecken: Hubert Kittels arbeitet mit dem VEB Glaswerk Harzkristall Derenburg zusammen, das heute eine Stiftung ist und 2022 vom Verein besichtigt wurde. Oder die Farbglashütte Lauscha, die noch auf der künftigen Reiseliste steht.

Leuchterbaukasten, Designstudie für VEB Kunstgewerbe-Werkstätten Olbernhau; Holz, Glas, Porzellan, 1977/78.

Gefäßstudie im Rahmen der Hochschullehrertätigkeit Hubert Kittels beim VEB Glaswerk Harzkristall Derenburg, formgeblasen, Innenfang violett, 1989/90.
Ausstellung Reichenbach:

“POTS ABOUT ME — POTS FOR YOU. Hubert Kittel: Porzellan und Glas“
Von Freitag, 9. September bis Sonntag, 3. November 2024
Neuberin-Museum, Johannisplatz 3, 08468 Reichenbach im Vogtland, Telefon: 03765 524-4150
Öffnungszeiten: Dienstags bis Freitags 10-16 Uhr, Sonntags 13-16 Uhr, Samstags und Montags geschlossen (sowie nach Vereinbarung)
Biografie Hubert Kittel: https://www.burg-halle.de/design/industriedesign/produktdesign-keramik-und-glasdesign/personen/p/hubert-kittel/

Entwicklungsauftrag Vasenkollektionen 2000 für die Kleinserienproduktion der Farbglashütte Lauscha, Kristallglas, formgeblasen mit Optik.
