Die 1908/09 errichtete Hauptfront von Schott Grünenplan (Foto: Uwe Spiekermann)
Grünenplan – „Wenn je ein Ort seinen Namen mit Recht trägt, so ist es dieser: denn inmitten schattiger Buchen- und Nadelwälder liegt der Ort zwischen prachtvollen Wiesen wirklich auf dem grünen Plan. Kleine Teiche beleben angenehm die Landschaft. Hier findet man Ruhe und Erfrischung“. Diese Luftkurortwerbung von 1929 vergaß das Wichtigste: Der im Landkreis Holzminden gelegene Glasmacherort Grünenplan entstand im Anschluss an die vom Braunschweiger Herzog 1744 gegründete Fürstliche Spiegelglashütte „auf dem grünen Plan“ – und die Glasindustrie dominiert den Ort bis heute. 1929 war schon lange an die Stelle des Fürsten der Markt getreten, seit 1871 firmierte man als DESAG, als Deutsche Spiegelglas AG, hatte auch im nahegelegenen Freden eine weiter Gussglashütte gebaut. 1929 produzierte die DESAG vorrangig Brillenglas, doch man hatte die Investitionen vernachlässigt, das Fredener Wert verkauft und bemühte sich um neue Geschäftsfelder. 1930 verlor man im Rahmen der Übernahme des Glaswerks im oberpfälzischen Mitterteich seine Eigenständigkeit – doch mit den neuen Herren von „Schott & Genossen“ hatte man in Grünenplan einen Glücksgriff getan. Das Jenaer Glaswerk Schott war seit 1919 Teil der Carl-Zeiss-Stiftung, also ein Stiftungsunternehmen, das bis heute eine schirmende Hand über Schott und Carl-Zeiss hält und Übernahmen erschwert.
Schott Grünenplan war Ziel einer kleinen Entdeckungsreise der Glasfreunde Boffzen. Inmitten der schattigen Buchen- und Nadelwälder werden heute Glasprodukte hergestellt, die 1929 nicht denkbar waren. Ultradünnes Glas ist mittlerweile ein Alltagsprodukt, doch es entgleitet im Wortsinne unseren Blicken. Nur 1 bis 0,1 Millimeter dünn, hat es dennoch die Eigenschaften des Werkstoffs Glas: Hitzebeständigkeit, Isolationskraft, Transparenz, chemische Stabilität. Ultradünnes Glas kann gebogen werden, ist nach chemischer Härtung aber auch fest und schlagstabil. Im Inneren eines Smartphones kann man damit Raummuster verbessern, kann all die vielen Aufgaben sicher voneinander abgrenzen. Solarpanele können damit geschützt, Chipkarten gesichert, Akkus verbessert werden. Ein Schmankerl also, nicht nur für Glasfreunde.

Ultradünnes Glas für Solarpanels: Dünner als ein Haar (Fotos: Uwe Spiekermann)
Die Gruppe aus Boffzen und Umgebung wurde in Grünenplan vom Anwendungsingenieur Arne Lange begrüßt, seit 1998 bei Schott aktiv. Es folgte keiner der gängigen und manchmal gefürchteten Firmenfilme. Stattdessen gab der Standortleiter Alexander Glacki pointierte Einblicke in das Profil und die Produkte der Schott AG: 2022/23 erzielten weltweit 17.100 Mitarbeiter einen Umsatz von 2,9 Mrd. und einen Nettogewinn von 277 Mio. €. In Grünenplan konzentriere man sich auf Dünnglas und dessen Nachverarbeitung, ebenso auf Dekorationen. Drei Werke gäbe es vor Ort, nämlich Schmelzerei, Nachverarbeitung und Logistik und schließlich im nahegelegenen Eschershausen eine Werkstätte für Flach- und Strahlenglas. Auf 115.000 m² Betriebsfläche arbeiten nicht weniger als 430 Menschen. Man merkte beim Standortleiter Freude an der steten Innovation als er auf den Wandel vor Ort einging: Brillenglas, gezogenes Flachglas nach dem Verfahren des Belgiers Emile Fourcault (1862-1919), neue Deckgläser für die Mikroskopie. Seit der Einführung der Down-Drow-Technologie, also dem nach unten gerichteten Ziehen des in kleinen Wannen geschmolzenen Glases, begann in den 1990er Jahren dünnes Glas zu dominieren, sei es für Bildschirme, sei es für tragbare Telefone. Das heutige Ultradünnglas stelle den nächsten Schritt permanenter Innovation dar. Stolz auf das Erreichte prägten Glackis Worte.

Ein neues Outfit, nicht nur für Damen: Glasfreundinnen Karin Düsterdiek und Edith Kleine beim Umkleiden
Nach einer kleinen Umkleidepause begann die eigentliche Besichtigung des Werkes; Sicherheitsschuhe und Schutzkleidung erinnerten an die bei Feuerarbeit auch heute noch bestehenden Gefahren. Die Glasfreunde wurden von Rainer Schwertfeger geführt, einem seit 40 Jahren am Standort tätigen Mann, der den Betrieb aus dem EffEff kannte. Er kannte auch die notwendigen Schleichwege, denn die Fabrikhallen glichen gegenwärtig einer Baustelle, wurden doch Wannen erneuert, neue Produktionsstätten hochgezogen. Fotos hatten hier natürlich zu unterbleiben, doch vielleicht lesen Sie einfach mal selbst nach, wie das von Ihnen tagtäglich genutzte Glas entsteht.
Am Anfang stand die ältere Up-Draw-Technik: Das Glasgemenge, etwa der aus Belgien stammende Quarzsand, wurde in einer 28 m³ großen Wanne hoch erhitzt, das geschmolzene Glas dann geläutert und homogenisiert. Anschließend wurde die Masse automatisch hochgezogen, dabei geformt und gekühlt. Zehn Meter legte das Glas von unten nach oben zurück. Oben angekommen griff ein Industrieroboter die noch heißen Scheiben, die anschließend vereinzelt, also geschnitten und verpackt wurden. Die Glasfreunde waren überrascht, dass ein beträchtlicher Teil des neuen, auf dem Kühlkarussell kreisenden Glases gleich wieder verworfen wurde und mit Klirren zurück in dafür vorgesehene Auffangbehälter fiel. Für Rainer Schwertfeger war das jedoch Ausdruck sorgfältiger Qualitätskontrolle. Intern gäbe es einen Scherbenkreislauf, das geborstene Glas würde dem Gemenge hinzugefügt, dann könne die Reise von Neuem beginnen.

Schutz vor Röntgenstrahlen, Abwehr von Gammastrahlung: Schutzglas
Treppab, treppab: Die Besuchergruppe stand nun am Ende eines Down-Draw-Prozesses. Nun kam das Glas von oben heran, produziert in kleineren Wannen mit einem Tagesdurchsatz von 3,5 bis 5 Tonnen. Schon recht kühl sank es in breiten Scheiben nieder, die Biegsamkeit des ultradünnen Materials wurde hier sichtbar. Noch saßen am Ende des Prozesses Mitarbeiterinnen, die das maschinell vorgeschnittene Produkt annahmen, aufstapelten, dazwischen Papier legten. 30 Minuten, nicht länger, konnte diese Arbeit gemacht werden, für die besondere Konzentration erforderlich war. Schnitte waren praktisch ausgeschlossen, nicht nur wegen der Handschuhe, Stichschutzarme und gesonderter Sicherheitskleidung. Nicht Schnitte seien bei diesem Material gefährlich, eher Stiche, erläuterte Rainer Schwertfeger. Und er gab auch Einblicke in die Zukunft: In der benachbarten Fabrikhalle wurden gerade eine Industrieroboterstraße eingerichtet. Noch sei nicht alles gerichtet, doch man werde die noch störenden Kleinigkeiten abstellen. Es ginge schließlich um Präzision im Mikrometerbereich.

Sicherheit geht vor: Die Glasfreunde Boffzen mit den Grünenplanern Arne Lange und Rainer Schwertfeger (es fehlen Brigitta Waske und Edeltraud Fricke)
Man verließ die Hallen, besuchte den „Showroom“ mit werbeträchtigen Produktdarstellungen. Arne Lange hatte derweil die Führung übernommen, vertiefte die Ausführung Glackis vom Beginn. Kurz danach war man wieder am Ausgangspunkt angekommen, befreite sich von der ungewohnten Schutzkleidung, stärkte sich mit Kaffee und Kaltgetränken. Doch die Führung dauerte an, nun wurde es handgreiflich. Schotts heutige Glaspalette umfasst auch Architekturglas, sei es als rillige oder streifige Strukturgläser, sei es als Restaurationsglas. Historische Anmutung, moderne Spezifikation, so Lange. Und zugleich wanderten die Glasprodukte durch die Reihen, konnten angefasst, anders erfahren werden. Strahlenschutzgläser folgten, nicht aber Glaskeramik, trotz der 250 Millionen bisher abgesetzten Ceranfelder, trotz allseits bekannter Ofensichtscheiben. Jährlich etwa eine Milliarde Glasträger für die Mikroskopie, v.a. bei der Krebstherapie. Elf Milliarden Verpackungen im Gesundheitssektor kämen hinzu, ebenso Autozubehör. Und natürlich das Satellitenglas, mit dem Schott, dessen Produkte schon in den Kameras der Mondlandungen dabei war, neuerlich im Weltall präsent sei. Eine beeindruckte Auflistung neuartiger und verbesserter Produkte. Manches aber wurde auch aufgegeben: Etwa die Duran-Gläser für Laboratorien, die heute von anderen gefertigt würden. Auch von der Brillenproduktion habe man sich getrennt – wenngleich auf dem Firmengelände die einst verkaufte Sparte weitergeführt worden sei. Der neue Besitzer Barberini, derweil selbst aufgekauft, beschäftige vor Ort immer noch über 100 Mitarbeiter. Am Ende stand aber nochmals der Reiz des Glases: Neue knickbare Smartphones wurden herumgereicht, auch Spezialanforderungen für exklusive Uhren. Cartiers Crash-Uhren kosten über 200.000 €.
Es war nun am Vereinsvorsitzenden Walter Waske den Dank der Gruppe auszudrücken. Als früherer Landrat Holzmindens sei er häufiger vor Ort gewesen, auch wegen des Endes der Brillenproduktion bei Schott. Er dankte für die Führung, für die kompetente, offene und auch mit spürbarer Begeisterung erfolgte Präsentation – und alle Glasfreunde nickten eifrig, applaudierten laut. Es folgte ein kurzer Weg durch Grünenplan. Seitlich lag das dortige Glasmuseum, doch das Ziel war Lampes Posthotel, wo man einkehrte und gut trank und speiste.

Ein schönes Werbegeschenk: Glastrinkhalme von Schott, Mainz
Doch eine Episode ist noch zu ergänzen. Eine wichtige: Arne Lange trat in die Gaststätte ein, hielt eine Tasche hoch. Es seien noch kleine Geschenke zu verteilen, das habe man vergessen. Er war der enteilten Gruppe gefolgt, denn diese kleine Gabe war ihm wichtig. Wie besser hätte er auf den Punkt bringen können, was wir gesehen hatten, weshalb Schott erfolgreich ist. Es sind die Kleinigkeiten, die den Unterschied machen. Bei Unternehmen wie Schott Grünenplan muss einem um die Zukunft des Industriestandorts Deutschland nicht bange sein.

Ein sehr gelungener Bericht über die 850-jährige Glasmachertradition in Grünenplan!
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