Das Glas der Schwarzburger – Eine aktuelle Ausstellungsreihe in Thüringen

Schönes Ambiente – wenige Stücke: Vitrine der Ausstellung „Glas schützt!“ im Thüringer Landesmuseum Heidecksburg in Rudolstadt (Foto: Stefanie Waske)

Man muss nicht jede Ausstellung sehen. Lange Fahrten und beschwerlicher Aufstiege müssen sich schließlich lohnen. Im Residenzschloss Heidecksburg – dem früheren Stammsitz der Fürsten von Schwarzburg-Rudolstadt – ist seit dem 6. Mai 2022 eine kleine Kabinettsausstellung zu sehen. Unter dem Titel „Glas schützt!“ präsentiert sie nicht nur „schönes“ Glas. Ihr Ziel ist stattdessen, den Besuchern die große Bedeutung von Glas für die Ausbildung von Wissenschaft, Kunst und Wirtschaft vor Augen zu führen. All das in drei, dreieinhalb Räumen, teils im Schlossflur.

Präparate aus der Naturaliensammlung: Ein Chamäleon und ein Nilkrokodil im schützenden Glasbehälter (Foto: Uwe Spiekermann)

Glas wird dort als Kunststoff präsentiert, als Sinnenweiter. Der Schliff erschloss seit dem späten Mittelalter neue Welten. Die Brille korrigierte nicht nur, sie erlaubte ein anderes Sehen, verwies auf das breite Reich zwischen Schärfe und Unschärfe. Während das Fernrohr in den Himmel, in die Weite sehen, Artillerie und Soldatenmassen anleiten ließ, erlaubte das Mikroskop Einblicke in Mikrowelten. Präparate von Tieren und Menschen waren ergötzliche Schaustücke in den Naturalienkabinetten der Adeligen, erlaubten zugleich aber eine neue Ordnung der Natur. Vergleich und Systematik waren die Folge derartig in Glas gebannter Realien, Biologie und Medizin profitierten davon.

All das wird in der Rudolstädter Ausstellung kurz gestreift, nicht aber wirklich angegangen, ja vertieft. Die meisten der nicht allzu zahlreichen Stücke entstammen der adeligen Repräsentationskultur vor Ort, eine Weitung auf die breit gefächerte Schutzfunktion des Glases hätte ganz andere Anstrengungen erfordert. Stattdessen umtänzelt die kleine Ausstellung das selbst gesetzte Thema. Deutlich wird dies etwa am Prunkstück selbst, einer verglasten Tragesänfte, bei der Diener die Rolle der Zug- und Tragetiere übernahmen. Glas schützte den edlen Herrn, die edle Damen vor den Unbilden der Witterung, vor den Sturzbächen des Himmels, vor dem eisigen Zug der Lüfte. Das Glas gab zugleich einen Blick auf die Insassen frei, zeigte sie abgehoben von den Fährnissen des Alltags des einfachen Volkes, bot Schutz vor dem Pöbel. Mittels einer Schiebemechanik konnte diese Grenze allerdings auch aufgehoben werden, doch nur von innen, huldvoll nach außen gewandt.

Glas als Zeichen ständischer Erhabenheit: Eine Sänfte des 18. Jahrhunderts (Foto: Uwe Spiekermann)

Die Rudolstädter Kabinettsausstellung ist Teil einer Ausstellungsserie zum „Glas der Schwarzburger“ [Video: Vierteilige Ausstellung „Das Glas der Schwarzburger“ | MDR.DE]. Sie ist verteilt auf die vier früheren Höfe der Fürsten von Schwarzburg-Rudolstadt, einem der 25 Bundessstaaten des 1871 gegründeten Deutschen Reiches. Nach dem Ende der Monarchie gingen deren Sammlungen 1919 gegen Abstandszahlungen großenteils in Museumsstiftungen über. Jede der vier Teilausstellungen bedient sich aus diesem Fundus, setzt jedoch eigene Akzente: Im Regionalmuseum Bad Frankenhausen heißt es „Glas wandert!“. Dort geht es um Glasmacher auf der Wanderschaft, um den behutsamen Transport des zerbrechlichen Gutes, zugleich aber um Glas als Transportverpackung. Traditioneller ist der Zuschnitt der Teilausstellung „Glas verändert!“ im Schlossmuseum Sondershausen. Sie konzentriert sich auf die repräsentative Kultur der Herrschenden und deren Wetteifern um vorzeigbare, neue Stücke. „Glas schützt!“ in Rudolstadt wird schließlich ergänzt durch „Glas erstaunt!“ im Schlossmuseum Arnstadt. Auch dies eher Widerspiegelung der höfischen Selbstdarstellung, hinter dem das ebenfalls gezeigte Laborglas zurücktritt.

Die Idee einer thematisch versetzten Ausstellung nimmt erst einmal ein – doch für eine vertiefende Analyse bieten die geviertelten Teile doch recht wenig. Das gilt für die Zahl der Stücke, gilt aber insbesondere für die thematische Darstellung. Die kurzen Texte bieten nur leicht erweitertes Alltagswissen, bleiben vielfach oberflächlich. Die Exponate, die vielfach aus anderen Teilen der Dauerausstellungen rübergestellt wurden, werden in ihrer Vielgestaltigkeit, ihrer „Multidimensionalität“, nicht wirklich ausgeleuchtet. Glas wandert, verändert, schützt und erstaunt, gewiss. Doch das gilt für die meisten Stücke gleichermaßen. Die Kuratoren haben dies nur unzulänglich ausgearbeitet, setzten Zeigestolz an die Stelle von Scheidekunst. Das ist überraschend, gründet die Ausstellungsreihe doch auf einem 2018 bis 2021 vom Bundesministerium für  Bildung und Forschung geförderten Projekt namens „Glas. Material, Funktion und Bedeutung zwischen 1600 und 1800 in Thüringen“, dessen Publikationszahl allerdings auch recht überschaubar ist (Projekt – Objekt Glas – DE (objekt-glas.de)).

Der Solling als Taktgeber im 18. Jahrhundert. Deckel mit Mariengroschen im Knauf aus der Schorborner Hütte (Foto: Stefanie Waske)

Dennoch: Wer Zeit, Lust und Geld hat, kann sich auf die Rundreise nach Thüringen begeben, kann eine kleine Ausstellungtour von Bad Frankenhausen über Sondershausen, Arnstadt nach Rudolstadt unternehmen. Die Ausstellungsreihe „Das Glas der Schwarzburger“ allein lohnt den Aufwand nicht. Doch in den Orten, in den Museen findet sich auch manch anderes: Im Thüringer Landesmuseum Heidecksburg lockt beispielsweise die wunderbare Ausstellung „Rococo en miniature“. Zwei Ossis, Manfred Kiedorf (1936-2015) und Gerhard Bätz (*1938), haben in fünfzigjähriger Arbeit eine Gegenwelt zum profanen (DDR-)Alltag geschaffen, feiern in Miniaturmodellen das höfische Leben in den Fantasiereichen Pelarien und Dionien. Auch dort findet man Glas, wenngleich kein echtes. Aber die nachgemachten Kronleuchter, Karaffen  und Küchenbehältnisse zeugen stärker als das Glas der Schwarzburger von einer verbindenden Idee von Heiterkeit, Frohsinn und stilvollem Ernst – für alle, nicht nur in Kunstwelten, nicht nur der Herrschenden.

Uwe Spiekermann

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